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10. évfolyam 3. szám
A. D.
MMIX

Szlávik, Gábor:
Der Montanismus als Widerstandsbewegung im Frühen Christentum?
Az alább közölt szöveg 2007 novemberében elõadás formájában hangzott el Bernben

Az alább közölt szöveg 2007 novemberében elõadás formájában hangzott el Bernben. Néhány nappal késõbb ugyanez szolgált a montanizmus témájában Baselben tartott szakmai szemináriumom (Kollegenseminar) vitaanyagaként. Mivel elõadásom szövege eredetileg német nyelven, a német nyelvi gondolkodás követelményeinek megfelelõen íródott, magyarra történõ fordítása praktikusan egy másik szövegvariánst hozott volna létre. Ennek elkerülése érdekében közlöm, a szerkesztõk egyetértõ beleegyezésével, az eredeti verziót. A montanista mozgalom elõadásom keretében érintett témájához, magyar nyelven, l. egy korábbi, ugyancsak e folyóirat hasábjain megjelentetett tanulmányomat: »Egy elmaradott régió szerepvállalása a kor vallási mozgalmaiban: Közép-Phrygia montanizmusa«, Egyháztörténeti szemle VII,1 (2006), 3-36. Az elõbb tanulmányba foglalt, majd az ott mondottakat részben összegzõ, részben kiegészítõ elõadás témájához szolgáló anyag összegyûjtését svájci, illetve németországi kutatóútjaim során végeztem – 2003 és 2005 között, majd – kiegészítés jelleggel – 2006-ban. Baseli, ill. lipcsei kutatóútjaimat a HEKS [Hilfswerk der Evangelischen Kirchen – Schweiz], valamint a GAW [Gustav-Adolf-Werk e.V. – Diasporawerk der Evangelischen Kirche in Deutschland] kuratóriumaitól több ízben is elnyert ösztöndíjaim tették lehetõvé. A lehetõségért, hogy ezen az úton igénybe vehettem az ottani könyvtárakat, mindenekelõtt Andreas Hess lelkész úrnak, a HEKS kelet-európai referensének, valamint Hans Schmidt lelkész úrnak, a GAW fõtitkárának tartozom köszönettel. Ugyancsak köszönettel tartozom Jürgen von Ungern-Sternberg professzor úrnak, 2006-ig a Baseli Egyetem Ókortörténeti tanszéke (Seminar für Alte Geschichte – Universität Basel) vezetõjének, aki mindenkor készséggel bocsátotta rendelkezésemre az intézet gazdagon felszerelt könyvtárát.

 

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Der Montanismus als Widerstandsbewegung im Frühen Christentum?

 

Das Thema meines Vortrags ist die religiöse Bewegung der Montanisten. Die Geschichte einer prophetischen Sekte, die im westlichen Teil Kleinasiens entstand und sich in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts zu einer innerkirchlichen Bewegung entwickelte.

Diese Bewegung, die später (in viertem Jahrhundert) nach seinem Initiator, dem „Propheten“ Montanos, Montanismus genannt wurde, konnte binnen kurzer Zeit bedeutende missionarische Erfolge vorzeigen. Von ihrem Entstehungsort Mittelphrygien ausgehend, verbreitete sie sich schnell auf das ganze Gebiet der Anatolischen Halbinsel. Gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts existierten schon starke montanistische Gemeinden auch im Westen des Imperium Romanum.

Allein schon die Entwicklungsgeschichte der montanistischen Bewegung wäre ein interessantes Thema. Aber im Rahmen dieses Vortrags möchte ich vorwiegend über den Charakter dieser Bewegung sprechen. Über die wesentlichen Züge einer Sekte, die sich selbst als „neue Prophetie“ bezeichnete und ihren Zweck in der Rückkehr zu den Ideen des Urchristentums sah.

Mit der erforderlichen Kürze werden wir hier die folgenden Fragen behandeln:

Erstens: In seiner ersten Phase scharte sich der Montanismus um drei charismatische „Prophetengestalten“, unter denen sich zwei Frauen befanden. Montanos erklärte sich selber für den Paraklet, der von Christus im Johannesevangelium verheißen worden war (Joh XIV,16-18;26. u. ö.). Sein prophetischer Anspruch wurde aber nur in einem erweiterten Kreise akzeptiert, als sich zwei Frauen, Priska (Kurzform von Priscilla) und Maximilla zu ihm gesellten. Die beiden Frauen von prophetischer Begabung, die stets an der Seite des Montanos standen, blieben den späteren kirchlichen Schriftstellern in weit lebendigerer Erinnerung als der Gründer der Sekte Montanos selbst!

– Wie können wir diese bedeutungsvollen Umstände interpretieren?

– Und was soll die „prophetische“ Äußerung von Maximilla heißen, wonach ihr Christus, während sie sich schlafen gelegt und geträumt hatte, in der Gestalt einer Frau (!) erschienen sei? Ein orthodoxer kirchlicher Schriftsteller hielt es später für einen ausgeprägten Charakterzug der montanistischen Sekte, daß sie das Geschlecht des wiederkehrenden Christus unbestimmt gelassen hatte (Epiphan[ios], Pan[arion] XLIX, 2,5.)! Wir sollten nicht vergessen, daß die „Prophetin“ Maximilla ihre Äußerung in einem geistlichen Umfeld getan hatte, in der das männliche Geschlecht des Heilands stets über alle Zweifel erhaben war.

Zweitens: Die erwähnten prophetischen Äußerungen können wir freilich nicht so interpretieren, daß die zwei Prophetinnen die wahren Gründer der montanistischen Bewegung gewesen wären. Die Bedeutung dieser Frauengestalten innerhalb der Bewegung ist aber an sich schon erklärungsbedürftig.

Die akzentuierte Anwesenheit des weiblichen Elements, d. h. der Auftritt der Prophetinnen, verweist darauf, daß das Ideengut des Montanismus mit den phrygischen Kulten (vor allem mit Kult der phrygischen »Großen Mutter«) immer noch stark verknüpft war.[1] – Aber wie weit können wir die Entstehung der Montanismus nur auf seine phrygischen Wurzeln zurückführen? Sollen wir überhaupt die Ausbildung einer geistigen Bewegung bloß mit seinem religiösen Hintergrund erklären? Und in engem Zusammenhang damit: Wären die Wurzeln des phrygischen Heidentums wirklich eine genügende Erklärung auf die Frage, warum der Montanismus, der eine innerkirchliche Bewegung par excellence war, später durch die Großkirche als eine Ketzerei abgeurteilt wurde?

Drittens: Welches waren die wesentlichen Züge dieser lokalen Volksbewegung, die man – mit gewissem Recht – auch als eine innerkirchliche Bewegung von „ethnischem“ Charakter in Betracht ziehen kann? Es scheint nämlich mindestens wahrscheinlich zu sein, daß in Phrygien ein starkes patriotisches Gefühl herrschte. Eine der montanistischen Prophetinnen habe nämlich vorhergesagt, daß das himmlische Jerusalem auf den Boden von Phrygien herabkommen werde!

Um die Ideen der montanistischen Bewegung zu rekonstruieren, stellt das Panarion von Epiphanios eine der wichtigsten Quellen dar. Dieser spätere Kirchenschriftsteller wirkte im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts und war Metropolit von Salamis (Salamis auf der Insel Zypern). Sein voluminöses Werk, das Panarion, widmete Epiphanios den „Gläubigen“. Mit diesem Buch wollte er ihnen, d. h. den orthodoxen, „eine mit Medikamenten gefüllte Büchse“ geben – und das gegen sage und schreibe 80 verschiedene Ketzereien! Um sein Ziel zu verwirklichen, teilte er mehrere wörtliche Zitate von Schriften der Häretiker mit – Herätiker, die später wegen ihrer ketzerischen Anschauungen durch die Großkirche vernichtet wurden. Obwohl Epiphanios ein orthodoxer Schriftsteller von starker antimontanischer Gesinnung war, gebührt vorwiegend ihm Dank dafür, daß wir von dem Gehalt mehrerer montanischtischen Prophetien Kenntnis haben. Ohne die späteren Mitteilungen dieses Anhängers der Orthodoxie und Tendenzschriftstellers wären auch diese Fragmente der „Häretiker“ verloren gegangen.

Aufgrund der gebotenen Kürze wird sich meine Untersuchung im folgenden auf die erste Phase der montanischtischen Bewegung beschränken. Dieser Zeitabschnitt beginnt entweder um 156 n. Chr. – oder dann im Jahre 172, wobei mir der erste Termin wahrscheinlicher erscheint; auf Grund einiger innerer Indizien, die hier nicht näher erläutert werden können. Damals, also am Anfang der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, hat Montanos nämlich sein prophetisches Wirken begonnen. Die erste Phase des Montanismus hat dann im Jahre 179, mit dem Tod der Prophetin Maximilla geendet, die für die letzte der drei Gründergestalten der Sekte galt.

Da die Geschichte des Montanismus im Westen, vor allem auf dem Gebiet der römischen Africa proconsularis (etwa auf dem Gebiet des heutigen Tunesien) oder in der Gallischen Provinzen schon zur zweiten – und letzten – Periode der Bewegung gehört, werden wir uns mit dieser Frage nicht beschäftigen.

Nachdem wir die wichtigsten Grundlagen des Montanismus genannt haben, machen wir uns nun mit der Umwelt dieser geistigen Bewegung bekannt.

Der Schauplatz unserer Geschichte ist das römische West-Kleinasien. Der Zeitraum der hier zu vergegenwärtigenden Ereignisse umfasst die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr.

 

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Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, als der Initiator der montanistischen Bewegung als Prophet in Phrygien erstmals aufgetreten war, erlebte das Mittelmeergebiet eine beispiellose Blütezeit. Die römische Staatsorganisation, die sich vom Rhein bis zum Euphrat, von Nord-Britannien bis zu den ersten Katarakten des Nils erstreckte, genoss ihre vielleicht schönsten Tage unter dem Prinzipat des Antoninus Pius (138-161 n. Chr.), des kaiserlichen Nachfolgers Hadrians.

Die wirtschaftliche Blüte der Epoche scheint aufs Ganze gesehen damals zumindest aufrecht erhalten worden zu sein. Die auf über drei Millionen Quadratkilometer verteilte Bevölkerung, die auf nahezu 70 oder 80 Millionen geschätzt wird, genießt einen verhältnismäßigen Wohlstand und lebt nach offizieller Auffassung in Frieden und Sicherheit.

Diese Jahrzehnte gelten zumindest für die Vertreter der privilegierten Aristokratie der selbstverwalteten Städte des Reiches (d. h. dem munizipalen ordo) mit Recht als ein echtes »Goldenes Zeitalter«.

Die scheinbare, äussere Ruhe, die auch die führenden Schichten der griechischen Poleis damals noch genießen konnte, wurde aber häufig von apokalyptischen Hoffnungen und Erwartungen gestört. All diese Erscheinungen religiöser Art spiegelten teils die wachsende Unrast der niedrigen Schichten der Reichsbevölkerung wieder. Eine Erscheinung solcher Art war der Montanismus. Eine prophetische Bewegung, wie gesagt, die sich in einer armen Region einer reichen Provinz entfaltete. Die Sekte entstand in Mittelphrygien, das damals ein Teil der römischen Provinz Asia war. Hier, am westlichen Rande der anatolischen Hochebene, hatte der Montanismus seinen Ausgangspunkt. Er verkündigte das bevorstehende Ende der Welt, dem aber die Aufrichtung des »Tausendjährigen Friedensreiches« unmittelbar folgen würde. Wie noch wir sehen werden, scharte sich um die Parusie (d. h. um die Naherwartung der Wiederkunft Christi) fast alle montanistische Prophetie.

 

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Welche Ereignisse zur Entstehung der montanistischen Bewegung geführt haben, ist auch für die jetzige Forschung nicht im Detail bekannt. Wir können aber ihre Entstehungsgeschichte besser verstehen, wenn wir einen Blick auf die Welt des Christentums des zweiten Jahrhunderts werfen werden. Wie war also diese kirchliche Umwelt, in deren Rahmen sich die Bewegung der Montanisten entfaltete?

In einer evangelischen Metapher wurde das himmlische Königreich mit einem kleinen Kern verglichen, aus dem ein riesiger, weit verzweigter Baum wachsen wird.[2] Diese Metapher exemplifiziert gut auch diese missionarischen Erfolge, die das Christentum von den bescheidenen Anfängen bis zur Mitte des 2. Jahrhundert erreicht hatte. Die schnelle räumliche Ausbreitung des neuen Glaubens, der in Iudaea, einer entlegenen Provinz des römischen Reiches, entstanden war und sich am Anfang der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts ausgebreitet hatte, kann man wirklich imposant nennen. Als Apostel Paulus, während seiner dritten Missionsreise, in einer regionalen Zentrale der Provinz Asien, in Alexandreia Tróas, predigte, fanden noch alle seine Jünger in einem Versammlungsraum im obersten Stock eines Hauses Platz.[3] Zur Zeit der Antoninen können wir aber fast überall im ganzen Reiche Christengemeinden finden, die in Bezug auf ihre Stärke bedeutend sind. Ihre Existenz ist in der östlichen Hälfte des Imperiums ebensogut nachweisbar wie in Nordafrika oder in den größeren Gemeinden der Gallischen Provinzen. Besonders stark konnte man das Christentum des zweiten Jahrhunderts in Unterägypten oder in Kleinasien nennen. Das letztgenannte besitzt auch Gemeinden, die noch von den Aposteln gegründet worden waren. In Bezug auf beide Gebiete hatte schon der protestantische Theologe und epochale Kirchenhistoriker Adolf (von) Harnack mit Recht festgestellt, daß beide kat’ exokhén christliche Länder zu nennen sind, und dies schon vor der sogenannten Konstantinischen Wende.[4] Das schnelle numerische Wachstum der Gemeinden borg aber auch gewisse Gefahren in sich. Im Zeitabschnitt der Verfolgungen, die die Christengemeinden von Zeit zu Zeit von einigen Kaisern erleiden sollten, sind gleichzeitig auch oppositionelle Geistesströmungen innerhalb der Kirche entstanden. Sie wandelten sich dann nicht selten in beträchtliche Massenbewegungen. Dieses Phänomen wirkte gerade jener Einheit entgegen, welche die größte Kraft der Kirche gegen die Verfolgungen darstellte.

Der christliche Apologet Iustinos, der um die Mitte des 2. Jahrhunderts wirkte, wurde in der späteren Überlieferung als »Philosoph und Märtyrer« verehrt. Dieser bedeutende Vertreter der dritten christlichen Generation kannte schon drei Gegner vor ihm, welche die sich allmählich befestigende Einheit der Kirche bedrohten. Diese innere Gegner bzw. offenen Feinde sind bei Iustinos: Das Heidentum, das Judentum und die als Häretiker betrachteten Gnostiker, die überwiegend aus Ägypten und Syrien sowie aus ganz Kleinasien stammten. Die letztgenannten Gegner der sich allmählich abzeichnenenden Orthodoxie der Kirche, die Gnostiker, hielt Iustinos für die gefährlichsten. Unter den Gnostikern zog er dann vor allem Markión als höchst gefährlichen Häretiker in Betracht – ein Mann, der von den zahlreichen Verteidigern der Orthodoxie auch »Pontischer Wolf« genannt wurde. (Markión, der mit seinen Irrlehren als Wolf über die Herde der Gläubigen fiel, wie es zumindest von den Vertretern der Orthodoxie behauptet wurde, stammte aus Sinópé. Sinópé ist das heutige Sinop in der Türkei, das damals als eine bedeutende Hafenstadt des nördlichen Schwarzmeergebiets galt.)

Etwa zur gleichen Zeit bzw. einige Jahrzehnten danach erhob sich ein neuer Gegner der Kirche. Damals, in den fünfziger oder siebziger Jahren des zweiten Jahrhunderts machte sich die montanistische Bewegung auf den Weg. Sie entstand in einem der bedeutendsten Zentren des Christentum, wie es sich nach der Zerstörung von Jerusalem (nach 70 n. Chr.) entwickelt hatte. Also in einem Gebiet, welches, wie schon gesagt, Adolf (von) Harnack als ein christliches Land bezeichnet hat.

Die mit dem Name des Phryger Montanos bezeichnete Bewegung, die sich oft auch »neue Prophetie« nannte, war in den Charakterzügen ihrer Lehre eschatologisch-chiliastich ausgerichtet, also auf das Tausendjährige Reich (Christi). Aber wenn man auf ihre Erscheinungsform sieht, so können wir den Montanismus als eine pneumatisch-enthusiastische Bewegung auffassen. Zu diesen Benennungen (als geistige Bewegung) kehren wir bald noch ausführlicher zurück.

Der Entstehungsplatz der sich um die Mitte des 2. Jahrhunderts immer mehr entfalteten montanistischen Bewegung war Phrygien. Diese Region von wenig günstigen geographischen Verhältnissen liegt entlang der Grenzgebiete von West- und Mittel-Kleinasiens.

Nach seinem Stammgebiet wurde der Montanismus von seinen orthodoxen Gegnern zuerst als eine Häresie unter den Phrygern (kata Phrygas) oder kurz phrygische Häresie (tón Phrygón) bezeichnet. In der späteren Zeiten, also während der zweiten Periode der Bewegung, welche nach 179/180 n. Chr. begann, wurden die Anhänger der Sekte nach dem Begründer Montanisten genannt. Bald, als der innerhalb der Kirche als Häresie stigmatisierte Montanismus immer mehr in seine Ausgangsstelle zurückdrängte, in die zentralen Gebiete Phrygiens, wurden seine Anhänger nach dem Zentrum der Bewegung benannt, nämlich als Pepuzianer, nach dem Städtchen Pepuza.

Im Westen des Reiches, nachdem sich die montanistischen Lehren auch da verbreitet hatte, wurden die dortige Anhängerschaft unter dem Name cataphryges bezeichnet – also "die den Phrygern Gemässen". (Die Ausbreitung nach Westen spielte sich vor allem auf dem Gebiet von Africa proconsularis oder in den südgallischen Gemeinden schon ziemlich früh ab, nämlich während der achtziger und neunziger Jahren des 2. Jahrhunderts.)

Auch wenn sich die Idee des Montanismus (später) bis in den weit entfernten Westen verbreiteten, galt Phrygien stets als Zentrum der montanistischen Bewegung und blieb nach wie ihr geistiger Mittelpunkt.

Zugleich können wir allein schon aufgrund der Bennennungen der Anhänger der Sekte darauf schließen, daß die montanistische Bewegung durchgehend einen lokalen Charakter aufwies. Auch die frühere Forschung hat die phrygischen Wurzeln der Sekte stark betont, als es darum, ging die Charakterzüge dieser Bewegung zu erschließen. Um einen heutigen Begriff zu verwenden , können wir vielleicht auch die Feststellung wagen, daß sie einen »nationalen (besser gesagt: ethnischen“) Charakter« besaß. Bedeutend ist der Umstand, daß das Kernland der Sekte ein Gebiet im westlichen Kleinasien war, welches schon immer als eine wenig entwickelte Region galt. Als Zentren der montanistischen Bewegung innerhalb Prygiens verblieben bis ans Ende zwei Städtchen, die man aber vielleicht eher nur als große Dörfer bezeichnen sollte: Pepuza und Tymion.

Wo diese Orte gelegen haben, war bis jüngst unbekannt. Dank einer sensationellen archäologischen Entdeckung des Jahres 2001, können wir die eine dieser Ortschaften lokalisieren, nämlich Pepezua, in der Umgebung des heutigen Ųsak.

Hier, in der Nähe von Pepuza, hielten sich Montanus und seine Prophetinnen auf. Und hier in der Gegend zwischen den beiden Städtchen warteten die Gläubigen auf das Herabkommen des neuen Jerusalems aus dem Himmel (vgl. Apocal. XXI,2.) auf die phrygische (!) Erde. Über diese Ebene, die sich zwischen Pepuza und Tymion ausbreitete, sprach einst Priska (oder Quintilla, eine andere montanistische Prophetin, die eine Nachfolgerin Maximillas war), mit den folgenden prophetischen Wörter: „Christus kam zu mir unter dem Erscheinungsbild einer Frau (!) und in einem glänzenden Gewand und gab mir Weisheit ein und offenbarte mir, daß dieser Ort heilig sei und hier das Jerusalem aus dem Himmel herabkommen werde“ (Epiphan[ios], Pan[arion] XLIX 1,3.) Mit der Bezeichnung „dieser Ort“ war offenbar das größte Dorf der oben genannten Gegend gemeint, nämlich Pepuza.

Eine phrygische Ortschaft als Schauplatz des Herabkommens des himmlischen Jerusalems?! Aus diesem Umstand können wir wiederum auf den „nationalen“ („ethnischen“) Charakter der montanistischen Bewegung schließen. Kehren wir deshalb kurz noch zum Phrygien zurück.

 

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Phrygien, das „heilige Land der Montanisten“, wo die Anhänger der Sekte auf das bevorstehende Herabkommen des himmlischen Jerusalems gewartet haben, war ein zumeist ländliches, städtearmes und generell ärmliches Gebiet.

Das Christentum hat in dieser entlegenen Gegend schon vor der Konstantinischen Wende Eingang gefunden. Über den Lauf dieses Vorgangs lassen sich vorläufig nur Vermutung anstellen. Es scheint aber sicher zu sein, daß die Lehrtätigkeit der Wanderasketen und Wanderapostel schon früh ein wichtiges Moment für die Christianisierung der Region bildete. Diese bestimmenden Gestalten der früheren Kirche besuchten offenbar auch vor dem prophetischen Auftreten von Montanos die entlegenen Dörfer der phrygischen Region. Sie traten dort oft als Beschützer des dortigen Bauerntums auf, welches der städtischen Führungssicht untergeordnet und von deren Mitgliedern ausgebeutet war.

Das Kernland der Sekte war also eine entlegene Gegend, dessen zumeist bäuerliche Einwohner schwere Unterdrückung erlitten. Phrygien bildete nicht nur das Grenzgebiet des westlichen Kleinasiens, sondern auch die Grenze zwischen dem Reichtum der vorgelagerten Küstengebiete und der Armut des Hinterlandes.

Über das ehemalige West-Kleinasien können wir mit Recht sagen, daß dieses großräumige Gebiet ein Treffpunkt der verschiedensten Kulturen war. Hier trafen mindestens zwei ganz unterschiedliche Welten zusammen.

Schon die Landschaft zeigt zwei verschiedene Gesichter. Blühende, mit ihren Gemeindegebieten (khórais) fast aneinander gewachsene Griechenstädte am ägäischen Küstenland und das eintönige Zentralanatolien, das wir als vorwiegend ärmlich bezeichnen können. Zunächst treffen wir entlang den Küsten auf eine intensiv bebaute Kulturlandschaft mit Olivenhainen, Feigenbäumen und ertragreichen Weingärten; schon bald, wenn man nach Osten weiterfährt, schwinden die Olivenplantagen allmählich. Es folgt eine typische südländische Berglandschaft, dahinter die Hochebene, das anatolische Zentralplateau, mit seinen charakteristischen Salzseen und den zahlreichen Schaf- und – seltener – Rinderherden, welche die Hauptquelle des Reichtums der Region bedeuteten. (Auf dem Wege nach Osten wird die Landschaft immer mehr zur öden, nur noch wenig Vegetation aufweisenden Steppe, inmitten einer unfreundlichen und unwegsamen Gegend.) Es gibt hier zahlreiche Gemeinden, die dem tausendmal verdammten Sasimas des Gregor von Nysa ähnlich sind. Aber hier befindet sich auch schon der östliche Rand des zentralanatolischen Hochplateaus. Am westlichen Rand der Ebene, in Phrygien, waren einige richtige Großstädte nach griechischem Muster angelegt.

Die zentrale Region dieser Gegend, Mittelphrygien galt immer für ein ziemlich armes, vorwiegend dörfliches Gebiet. Als wirkliche Poleis können wir nur wenig Ausnahmen innerhalb der Region benennen. Diese sind Apameia (Apameia Kibótos), das für Zentrum der Region galt, das west-phrygische Hierapolis und Kolossai. Als bedeutendes städtisches Zentrum soll noch das in der Nähe von Kolossai liegende Laodikeia (Laodikeia am Lykos) erwähnt werden. Für die Leser des Neuen Testaments ist auch diese Stadt mit ihrer christlichen Gemeinde wohlbekannt.

Häufige gab es Erdbeben und Hungersnöte, deren Wirkungen durch das extreme Klima noch weiter gesteigert worden sind; zudem wachsende Steuern, staatliche und religiöse Unterdrückung. Dazu kommen noch die sich von Zeit zu Zeit wiederholenden politischen Krisenperioden, die mit der römischen Ordnungsmacht einhergingen. Das Zusammenwirken all dieser Faktoren bildete den eigentlichen Hintergrund dieser chiliastischen Erwartungen, durch die auch der Montanismus von Mittelphrygien vorbereitet wurde. (Der Chiliasmus, wie bekannt, ist die Erwartung auf das Millennium, welches das baldige Kommen des tausendjährigen Reiches bedeutete.)

Während der vielen stürmischen Jahrhunderte seiner Geschichte konnte Phrygien nur für kurze Zeit eine staatliche Souveränität haben. Ihre Einwohner, die während des dreizehnten Jahrhunderts in die westliche Hälfte der Anatolischen Halbinsel eingewanderten waren, und die Nachfolge der Hethiter angetreten hatten, galten einst als gefürchtete Krieger. Im Laufe der späteren Epochen haben sie sich in friedsame Ackerbauern und Viehzüchter verwandelt.

Wegen ihrer Armut und Rückständigkeit wurden die Phryger vom Griechentum des west-ägäischen Küstenlands ebenso verachtet wie die Mysier oder auch die Karier. (Auch diese ethnischen Gruppen gehören zu der einheimischen Bevölkerung der west-kleinasiatischen Region.) Die Begriffe „Phryger“ und „Sklave“ wurden seit langem als eine Art Synonym im Sprachgebrauch der ionischen oder aiolischen Griechen verwendet. Der als Gründer der Sekte bezeichnete Montanos hatte also seine „prophetische“ Laufbahn als Vertreter einer zumeist verachteten Volksgruppe begonnen.

 

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Zum besseren Verständnis des Charakters der montanistischen Bewegung ist es wichtig zu bedenken, was für eine Persönlichkeit der Begründer der Sekte war.

Montanos, der Initiator der Bewegung, war ein „Heidenchrist“. Ein Neophyt, der nach einer späteren Angabe (nach dem Aussage von Hieronymos: epist. XLI,4.) vor seinem Auftreten als „Prophet“, als Priester von Kybelé tätig war.

Das scheint aber eine nachträgliche Erklärung zu sein. Eine bewusste Auslegung, die darauf abzielte, alle Äußerlichkeiten des prophetischen Auftretens von Montanos aus dem orgiastischen Kult der phrygischen »Großen Mutter«, der auch Megalé Métér genannten Kybelé abzuleiten. (Das exaltierte Verhalten der Priester der Göttin, welche in dieser Gegend Kleinasiens besonders verehrt wurde, hatte in der Antiken Welt oft Anstoß erregt.) Gleichzeitig scheint aber diese Behauptung über den Gründer der phrygischen Sekte eine nachträgliche Erfindung, eine böswillige Verleumdung zu sein. Als Priester des Kultes von Kybelé wäre Montanos eine von außen verachtete Person gewesen. Ein Kastrat, der laut der damaligen öffentlichen Meinung von den Heiden und Christen ebenso mit Verschmähung bedacht oder offen verachtet worden war.

Der Realitätswert dieser Angabe kann mit jener Erzählung verglichen werden, die uns berichtet, daß sich Montanos aufgehängt hätte. Nach Art des Judas, von dem einst Christus verratet worden war. Dies hätte dann angeblich auch Maximilla mit sich selber gemacht, die nach dem Tode von Priska zur allerersten „Prophetin“ der montanistischen Bewegung aufgerückt war. All diese Episoden erscheinen auch bei einem späteren kirchlichen Schriftsteller. In der »Kirchengeschichte« von Eusebios, der im ersten Drittel des vierten Jahrhunderts wirkte und etwa seit 313 Bischof des palästinischen Kaisareia war. Auch Eusebios zog diese Nachrichten über das Schicksal von Montanos und Maximilla aber eher als bloßes Gerede denn als begründete Erzählungen in Betracht. Die beiden Geschichten wurden von ihm nicht als wahre Tatsachen mitgeteilt (HE V 16,13.).

Kurz: Dieser Umstand, daß Montanos erstens ein Heidenpriester, dann Konvertit gewesen wäre, der sich zuletzt in einen übereifriger Neophit verwandelte, passt gut in das Bild hinein, das die späteren Schriftstellern der Großkirche über ihn entwarfen. Im Kreise der Konvertiten, die früher irgendeinem östlichen Kult gehuldigt hatten, kamen immer noch solche ekstatischen Phänomene vor, durch die das „prophetische“ Verhalten von Montanos in den Augen der Orthodoxen anrüchig wurde.

Kurz: Montanos, der aller Wahrscheinlichkeit nach eher ein Priester des Apollonkultes war, hat seine prophetische Tätigkeit wohl unmittelbar nach seiner Bekehrung zum Christentum begonnen. Und hier muss man sich fragen, ob der Umstand, daß der Initiator der Bewegung ein ehemaliger Heide war, irgendwelche Wirkung auf die Lehren der Sekte ausübte.

 

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Während der ganzen Geschichte der montanistischen Bewegung betrachteten die Vertreter der Großkirche den Montanismus im Grunde genommen als eine Form von Orthodoxie. Dies hatte nämlich die wichtigsten Glaubensregeln nur wenig bedroht. Die Lehren von Montanos standen in Einklang mit der Trinitätslehre der Kirche. Abgesehen von einigen Merkmalen, die zumeist formal zu nennen sind, unterscheidet sich der Montanismus von der „katholischen“ Kirche der Zeit zur Hauptsache in der Buße und ihrer Auffassung. Darüber werde ich Ihnen am Ende meines Vortrags noch berichten.

Der Montanismus wurde auch deswegen als eine Form von Orthodoxie betrachtet, weil er keine wesentlichere Verbindung mit der Gnosis hatte. Frauen, wie sie sich in der engeren Umgebung des Gnostikers Markión befanden und die besondere Glaubenfähigkeiten aufzeigen konnten, waren hier nicht zu befürchten.

In der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, war die Gnosis nämlich der gefährlichste Rivale der Orthodoxie innerhalb der Kirche. Sie wurde schon von Apostel Paulus verurteilt. Paulus selbst wies die Gnosis, die im Wesentlichen den allerhöchsten Stand der Erkenntnis Gottes bedeutete, als falsche Richtung zurück (1Tim VI,20-21.). Er hatte dies vor allem deshalb gemacht, weil die Anhänger dieser frühchristlichen Sekte ihr Ziel, mit Gott vereinigt zu werden, durch den Weg der philosophischen Annäherungen erreichen wollten.

Für die Montanisten, die das Wiederkommen des Erlösers und die (wörtliche) Auferstehung des Leibes verkündeten, schien so all das, was die Gnosis als Weg zum Gott anbieten konnte, kaum verfolgungswert. In diesem Sinne wurden die Montanisten mit Recht von den Vertretern der Großkirche als orthodox betrachtet. Sie waren Orthodoxe, aber solche, die in der Nähe der bald kommenden Endzeiten durch die „neue Prophetie“ vereinigt waren.

Montanos selbst und auch ihre Prophetinnen haben vorhergesagt, daß der Tag des Kommens Christi bevorstehe. Und nachdem der Herr wieder gekommen wäre, sagten sie, werde er zusammen mit seinen Märtyrern auf der Erde tausend Jahre lang herrschen – wie das einst in Offenbarungen von Johannes vorausgesagt worden war (XX,1-6ff.).

Dementsprechend bedeutete das Wesen der montanistischen Lehren das Warten auf das bevorstehende Ende der Welt. Dies bedingte für die Gläubigen, sich auf eine unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Christi gefasst zu machen. Sie trafen sowohl geistige wie auch sittliche Vorbereitungen dafür.

Die zahlreichen scharfen Regeln, die die asketische Lebensführung verkündeten, bedeuteten nur die praktische Seite der montanistischen Bewegung. Unter den wichtigsten Vorschriften der Sekte, die ein Gläubiger konsequent befolgen sollte, werden wir hier vor allem die Fastenpraxis der Montanisten benennen. Um die Heraufkunft des Tausendjährigen Reiches zu beschleunigen, war bei den Montanisten vorgesehen, daß den Mitgliedern der montanistischen Gemeinden zweimal wöchentlich (besser gesagt: an zwei halben Tagen der Woche) fasten soll. Schon in den Frühzeiten des Montanismus ergänzte sich dies mit dem Verlangen nach einer langwierigen und sich wiederholenden Fasteinzeit. Anstatt des Fastens von vierzig Tagen, die im Alltagsleben der Kirchengemeinden nur einmal jährlich üblich war, wurde allen Gliedern der montanistischen Gemeinschaften eine Fastenzeit von dreimal jährlich vierzig Tagen zur Pflicht gemacht. Als Vorbild galt hier für die Montanistengemeinden offenbar die Prophetin Hanna, die in Erwartung der Erlösung Jerusalems Tag und Nacht fastete (Lk II,36f.).

Als weitere Regel galt das Verbot einer zweiten Ehe. Schließlich bestand auch die Auflage, dass die Anhänger der Sekte den religiösen Verfolgungen nicht ausweichen durften. Die Forderung des offenen Zugestehens des Glaubens gegenüber den römischen Behörden, was die Anhängern der „neuen Prophetie“ sogar auf Kosten des eigenen Lebens auf sich nehmen mussten, bildete einen charakteristischen Zug dieser prophetischen Bewegung. In diesem Falle, dem Suchen des Martyriums, galt ein solches Verhalten als Vollendung der Nachfolge Jesu. Als Vorbild, dem die Gläubigen folgen sollten, diente hier der bekannte Passus innerhalb der »Offenbarung an Johannes«, welcher sich mit dem neuen Himmel, der neuen Erde und zum Teil dem neuen Jerusalem beschäftigt (Apocal. XXI,1-8. bzw. 9-10.).

All diese Züge konnten freilich schon für sich selbst zu wesentlichen Streitpunkten im Verhältnis zur Großkirche werden. Das größte Problem bedeutete aber von Anfang an der soziale Gehalt der montanistischen Prophetien. Montanos und seine Anhängerschaft wollten zur – angeblichen – Gütergemeinschaft der urchristlichen Gemeinden zurückkehren; in einen idealisierten Zustand der Entstehungszeiten, in denen eine strenge Hierarchie innerhalb der Kirche noch kaum bekannt war. Der Anspruch einer solchen Wiederkehr, der von den Montanisten in radikaler Form verkündet war, konnte dann auch nur zur Ablehnung der montanistischen Lehren durch die Großkirche führen.

Das andere Grundproblem, durch das die Beziehung der phrygischen Sekte mit der Großkirche schon in der Frühzeit belastet worden war, bedeutete das Prophetentum.

 

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Schon die wahre Tradition Israels war von Propheten überliefert worden. Damals war aber nicht nur an männliche Propheten gedacht worden. Im Alten Testament hören wir auch von Frauen, auf denen die besondere Gnade Gottes ruhte. Als Beispiel sei hier nur die Schwester des Moses, Miriam[5] angeführt. In den alttestamentlichen Büchern sind dann auch Prophetinnen, wie Hulda[6] oder Deborah[7] erwähnt.

Dementsprechend spielte die Gabe der Prophetie auch in den Gemeinden des ersten Jahrhunderts noch eine wichtige Rolle. Im Geistesleben der ersten christlichen Gemeinden bedeutete »Prophetie« eine Gabe des Heiligen Geistes. Auch der Apostel Paulus redet von ihr oft als von einer Geistesgabe. In einem berühmten Passus des ersten Korintherbriefes, in dem er über die Liebe spricht, wurden die prophetischen Eingebungen zweimal erwähnt (1Kor XIII,2. u. 8.). In einem anderen Briefe, der von Paulus an die Epheser gerichtet wurde, sprach er über Apostel, Evangelisten, Hirten, Lehrer und auch Propheten (Eph IV,11f.). Hier steht eine Art von Hierarchie der früheren Kirche vor uns, bei der die Propheten an zweiter Stelle aufgezählt werden! Aber der Prophet, der verkündet, was Gott ihm offenbart hatte (1Kor XIV,26-32.), hat nicht nur im inneren Leben der einigen Gemeinden eine bedeutende Rolle gespielt.

Im Laufe des nächsten Jahrhunderts hat sich diese Situation schrittweise geändert. Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts galt schon das prophetische Auftreten in der damaligen Kirche für ziemlich ungewohnt. An die Stelle der wandernden Propheten, durch deren Wirken die Gemeinden der verschiedenen Regionen miteinander verknüpft waren, tritt immer mehr die kirchliche Hierarchie.

Im Falle der montanistischen „Propheten“ tauchte aber ein anderer Aspekt auf. Vor allem die unmittelbare Form der prophetischen Äußerungen stellte hier den ausschlaggebenden Faktor dar, durch den die heftigen Angriffe der „orthodoxen“ Presbyter (Kirchenältesten) und Bischöfe hervorgerufen wurde.

Der Gründer der Sekte, der Prophet Montanos, erklärte sich, wie gesagt, für den Paraklet, welcher von Christus im Johannesevangelium verheißen worden war. „Der Vater wird euch in meinem Namen (d. h. im Namen Jesu) den Helfer senden, der an meine Stelle tritt, den Heiligen Geist“ – so lautet der einschlägige Passus, der sechsundzwanzigste Vers des vierzehnten Kapitels. Montanos offenbarte schon von Anfang an, daß er jener Paraklétos sei, der an einer anderen Stelle des Johannesevangeliums auch als »Geist der Wahrheit« bezeichnet worden war. (Siehe dazu den siebzehnten Vers des vierzehnten Kapitels).

Als Montanos über die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu und das nahe Ende der Zeit sprach, galt ihm daher das Prophetentum als das wichtigste Verbreitungsmittel für seine Lehren. Als Erscheinungsform der Prophezeiung kam in diesem Falle ein schon fast eigenartiger, früher aber gewohnter Zug in Betracht – die Revelation des vom Heiligen Geist erfüllten Propheten. Montanos, der sich als der letzte große Prophet vor der Wiederkunft Jesu verstand, hatte seine Äußerungen in tiefer, schon an Ohnmacht grenzender Ekstase vor der versammelten Menge getan.

Diese Form der Prophezeiung bedeutete teilweise eine Wiederkehr zum Erbe des Apostolischen Zeitalters. Wie Markión, wollte auch Montanos alle Mitglieder seiner Herde zu den Ideen der frühchristlichen Gemeinden zurückführen. Diesen Versuch machten sie beide aber in einer Zeit, als die Kirche ihren Platz auch schon in der Welt, „im Lande des Kaisers“ suchte. Andererseits, wie wir bald sehen werden, hatte eine derartige Form des prophetischen Auftretens jene Praxis überschritten, die durch die Kirche noch anerkannt werden konnte.

Montanos und seine „Prophetinnen“, nachdem sie durch den Heiligen Geist ergriffen worden waren, haben die Äußerungen des Paraklet („des „Helfers“ oder „Trösters“) im ekstatischen Zustand übermittelt. Und sie haben es so gemacht, daß sie offenbar nicht mehr im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten waren. Die ekstatische Prophetie wurde hier also nicht von einer dritten Person übermittelt, wie bei den Alttestamentlichen Propheten, oder wie bei es Johannes in seinen „Offenbarungen“. Im Falle der montanistischen Prophetien war alle prophetische Äußerung die direkte, unmittelbare Rede des Heiligen Geistes. Als Mittel der Übertragung wurde der Mund des Propheten benutzt.

Nach einer Angabe unserer „orthodoxen“ kirchlichen Quellen hat der in erster Person prophezeiende Montanos oft geäußert, daß er der Paraklétos sei (Didymos, ‚De trinitate’ III,41.). Mit dieser Äußerung hat er aber nicht über sich selbst behauptet, daß er identisch mit dem Paraklétos wäre. (Wie bekannt, wurde der Paraklétos durch die Großkirche zu jener Zeit immer mehr als „Geist der Wahrheit“ oder „Heiliger Geist“ interpretiert.) Mit dieser Äußerung von großer Bedeutung wollte er seiner Zuhörerschaft „bloß“ den Umstand mitteilen, daß der  Heilige Geist durch ihn geäußert wurde. Laut unserer kirchlichen Quellen wollte aber der „Prophet“ Montanos auf diese Weise doch die Überzeugung seiner Gefolgschaft bestärken, daß er mit dieser Person identisch sei. Nach den Äußerungen der Verteidiger der Othodoxie wollte Montanos nicht nur ein Organ des Geistes sein, sondern beanspruchte darüber hinaus, die Verkörperung des Paraklétos zu sein. Die Verkörperung „dieses Helfers“, der im Geiste der frühchristlichen Lehren im Johannesevangelium verheißen worden war. Aber die letztgenannte Behauptung scheint nicht allzu wahrscheinlich zu sein.

 

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Der Montanismus, der eine Art Volksbewegung von religiösem Charakter war, kam in gewisser Hinsicht als Fortführung des messianistischen Glaubens der jüdischen Aufstände in Betracht. Ganz wie einst die Prediger der Anfangszeiten, hat auch Montanos nicht über den sich schon einmal erschienenen Christus gelehrt. Er lehrte vielmehr über den lange ersehnten Christus, der am Ende der Welt kommen wird. Gerade auch deshalb fanden die Lehren der Montanisten eine so große Resonanz bei der ländlichen Bevölkerung der inneren Regionen West-Kleinasiens. Damals war hier in vielen Gemeinden die lebendige Naherwartung verblasst.

Das Versprechen der baldigen Erlösung war von sich aus dazu geeignet, die Gruppe der armen – vorwiegend noch heidnischen – Bevölkerung zu gewinnen. Eine große Zahl von Inschriften, die in diesem Raum gefunden wurden, zeigt, dass viele Bauern auf kaiserlichem Großgrundbesitz arbeiteten und sich dieser Typus des Grundeigentums hier schon in beträchtlichem Maße verbreitet hatte. Gerade diese betreffenden Schichten der einheimischen Bevölkerung, die vorwiegend außerhalb der städtischen Organisation lebten, wurden durch die anziehende Steuerschraube ins Elend getrieben.

Auch auf die niederen Schichten der städtischen Bevölkerung der Region hat die einfache Lebensführung der montanistischen Gemeinden eine gewisse Wirkung ausgeübt. Teils deswegen, weil die arme städtische Bevölkerung auch hier im Schatten des Wohlstands lebte. Zudem waren sie hier dem Despotismus den örtlichen Curien (d. h. dem Ratsherrenkollektiv der autonomen Landstadt) fast völlig ausgeliefert – mit einträchtiger Unterstützung der kaiserlichen Zentralgewalt.

Als ausschlaggebender Faktoren für den Anfangserfolg der Montanisten in Phrygien kommt auch deren äußere Erscheinung und Auftreten in Betracht. Unter Äußerlichkeit verstehen wir hier vor allem die Begeisterung der montanistischen „Propheten“, mit der sie ihre öffentlichen Auftritten verbanden. Ihre Verzückung, die offenbar bewußt hervorgerufen wurde, steigerte sich dann bis zur Ekstase oder streifte schon manchmal die Grenzen des Paroxysmus.

Der orthodoxe Kirchenschriftsteller Epiphanios hat ein Wort des Montanos überliefert, das mit großer Wahrscheinlichkeit authentisch ist. „Siehe, ein Mensch ist wie eine Lyra“ – sagte der Prophet Montanos –, „und ich fliege hinzu, wie das Plektron (d. h. wie das Plättchen zum Schlagen der Saiten). Der Mensch schläft und ich wache. Siehe, der ist Herr, der die Menschenherzen außer sich bringt (d.h. in Ekstase versetzt!) und den Menschen Herzen gibt“ (Pan. XLVIII,4.).

Für den Verfasser des Panarion gilt dieser Spruch als Beweis von erstem Rang dafür, daß die Worte der montanistischen Propheten „zweideutig“ unausgewogen und ohne reine Einsicht“ sind. Gleicherweise äußerte sich der sogenannte Anonymos. Ein Schriftsteller von antimontanisticher Gesinnung, der Eusebios in seiner »Kirchengeschichte« oft zitiert.

Es kam schon zur Sprache, daß die „Prophetinnen“ Priscilla-Priska und Maximilla als die frühesten Begleiterinnen der Gründergestalt der montanistischer Bewegung galten. Nach diesem sogenannten Anonymos hat Montanos diese zwei Frauen „erweckt“ und sie mit dem „falschen Geist erfüllt“, so daß sie, wie er, ebenfalls „unsinnig“ (ekphronós), wirr (akairós) und fremdartig (allotriotropós) sprachen“ (Euseb. HE V 16,9.).

Phänomene solcher Art sprachen das Publikum an, da es für derartige Sachen sehr empfänglich war. Die Wirkung wurde zudem durch die überragende Rolle des weiblichen Elements für die ganze Bevölkerung verstärkt.

Hier ist daran zu erinnern, daß der prygische Kult zu einer starken Anhebung der religiösen Bedeutung der Frau geführt hatte. Beim Kult der „Großen Mutter“ z. B. lag naturgemäß die Ausübung der Kultakte hauptsachlich bei den Frauen. Die überragende Rolle des weiblichen Elements bei den Montanisten, die schon in den ältesten Quellen erwähnt worden war, dürfte also die Sekte von Anfang an im Kreise der einheimischen Bevölkerung vetraut gemacht haben.

Die Frage, inwiefern diese Erscheinungsformen eine Wirkung auf die wohlhabenden Oberschichten mit höherer Bildung ausüben konnten, ist heute schwer zu beantworten. Aber der Umstand, daß ein so hervorragender Denker der frühen Kirche wie Tertullian, der in der zweiten Hälfte seines Lebens ein ergebener Getreuer der montanistischen Ideen wurde, lässt sich gewiß nur mit dem inneren Gehalt des Montanismus erklären. Und diese Tatsache, daß die Einwohnerschaft einer Stadt wie das relativ reiche Thyateira, das am nördlichen Rand des lydischen Lykostales lag, ein Jahrhundert lang montanistisch blieb, scheint nur mit beiden obengenannten Umständen begründbar zu sein: Nämlich das Anknüpfen an vertraute Elemente der Muttergottheit und ihres geistigen Gehaltes.

All diese Erscheinungen fallen aber in eine Periode, die ihren Anfang mit dem Tod von Montanos und seinen „Prophetinnen“ genommen hat.

Im Raumgebiet von Thyateira kam die Mehrzahl jener Inschriften zum Vorschein, die die berühmte Formel kreistianos … khreistianéi („ein Christ […] für eine Christin“: TAM V,2; 1299.) tragen. Die älteste derer, die wir kennen, wurde im Jahre 248/249 erstellt. Die Mehrheit der Inschriften, die zu diesem Typus gehören, entstanden aber etwas später, in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Auf anderen Inschriften, die meist auch in der khóra (d. h. im Territorium) von Thyateira gefunden worden waren, wird nicht selten frei heraus das montanistische Christentum des Aufstellers bekannt. Als gutes Beispiel dient die oft zitierte Gedenkinschrift, wo sowohl der Montanismus der Ehepaars, wie auch ihr „pneumatisches“ Christentum stark betont werden: „Lupikinos Mountanéi synbiói kreistianéi pneumatikéi mnémés charin“ – so lautet der Text der Inschrift.

Auf Grund ihrer inhaltlichen und formalen Merkmale können diese Inschriften auf die Jahre um 300 n. Chr. datiert werden.

 

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Wir kommen langsam zum Ende und ich möchte zusammenfassend noch zu definieren versuchen, was der Montanismus eigentlich war.

Der Montanismus war im Grunde genommen eine innerkirchliche Bewegung.[8] Er wollte die Spiritualität der frühchristlichen Gemeinden wiederholen – in einer Zeit, als die Verbreitung der monarchischen Episkopats (d. h. der späteren Bischofskirche) immer intensiver wurde. Der Montanismus wollte sein Ziel damit erreichen, daß er die eschatologischen Erwartungen der Frühzeit wachrief. Unter Berufung auf die früheren Feststellungen von Carl Andresen und Kurt Aland , hat Theofried Baumeister eine meisterhafte Charakteristik über das Wesen des Montanismus abgegeben: „Die Neuheit des Montanismus und die Tatsache, daß er in Phrygien entstand, können m. E. am besten erklärt werden, wenn man ihn als die in einem abgeschlossenen Landstrich aufgekommene Gegenbewegung zu dem durch die Mission der Kirche geforderten Hellenisierungsprozeß der Metropolengemeinden versteht. Die Kirche war dabei, einen Teil ihrer Identität zu verlieren. Der Montanismus reagierte darauf, indem er diesen Aspekt der kirchlichen Identität zu seinem zentralen Inhalt machte. Er wäre so ein Versuch, das Rad der christlichen Geschichte anzuhalten oder sogar zurückzudrehen, eine Bewegung mit Zügen eines revolutionären Konservativismus, wie Carl Andresen formuliert hat, oder der Versuch einer Restauration, so Kurt Aland[9]).

In dieser Hinsicht erinnert uns der Montanismus an die Bewegung der Donatisten, die sich im römischen Afrika (in Africa Proconsularis) während der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts entfaltete. In mehreren Fragen konnten sie eine ähnliche Annäherung vorzeigen und hatten eng verwandte Ideen.

Als Beweis dafür sei es mir gestattet, nur ein einziges Beispiel anzuführen: Die mehr als rigorose Beurteilung der Sünde und der Buße bei den Montanisten.

In seiner Schrift ‚De pudicitia’ (Über die Keuschheit) wurde von Tertullian ein Orakel des Parakleten, oder anders gesagt: ein Spruch von Montanos zitiert. Potest ecclesia donare delictum, sed non faciam, ne et alii delinquunt (de Pudic. 2,7. =  CSEL 20, 269, 24f.). Auf Deutsch: „Die Kirche kann Sünde vergeben, aber ich will es nicht tun, damit sie nicht noch andere Sünden begehen“ – sagte der „Prophet“ Montanos laut der Angabe des Tertullian. Hier steht vor uns der gut bekannte Kampfruf der Reformation, der gegen die katholische Kirche gerichtet wurde: Gott allein kann Sünde vergeben!

Kein Zufall, daß uns diese Rigorosität eben an die Auffassung der Sünde bei den Donatisten erinnert, der auch eine innerkirchliche Volksbewegung mit "ethnischem" Charakter war. Auch den Donatismus kann als „die Kirche der Armen“ oder eine Bewegung der armen, einheimischen Landesbevölkerung bezeichnet werden. Er stand ebenfalls von Anfang an der reichen, romanisierten städtischen Aristokratie feindlich gegenüber. Und in seinem Hintergrund können wir ebenfalls das Weiterleben vorchristlicher Traditionen (wie z. B. verschiedene Opfergaben) entdecken.[10]

Dennoch ist der Donatismus bereits eine andere Geschichte. Diesmal wollte ich über die Bewegung der Montanisten reden. Über eine vielfältige Erscheinung von religiöser Art, durch die zeitweilig sogar die Glaubenseinheit der christlichen Gemeinde des Imperiums gefährdet wurde. Der Montanismus widerspiegelt insgesamt die Krise des Christentums im zweiten Jahrhundert. Diese innerkirchliche Krise kann aber als notwendige Folgeerscheinung ihrer eigenen Entwicklung betrachtet werden. Anders gesagt: sie war eine Krise des Wachstums.

 

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Damit komme ich zum Ende und hoffe, Ihnen in der gebotenen Kürze einige Grundlagen für die Einschätzung des Montanismus geliefert zu haben, dessen Daseinsberechtigung sich auf die Hoffnung auf das baldige Kommen Christi und die Erwartung des Millenniums gründete. Wenn ich Ihr Interesse für diese vorübergehende, aber dennoch wichtige Erscheinung im Rahmen des frühen Christentums geweckt haben und Sie jetzt ihre eigene Einschätzung vornehmen möchten, so habe ich mein Ziel erreicht.

 

 

Abkürzungen griechischer und lateinischer Autornamen und Werktitel

 

CSEL – Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, hrsg. von der Wiener Akademie der Wissenschaften, Wien (1866–)

 

Epiphan., pan. – Epiphanios: Panarion Haeretikon Bd. II,34–64, v. K. Holl, Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten (drei) Jahrhunderte, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin (1897–); später: Kommission für spätantike Religionsgeschichte der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1980

 

Euseb. HE  –Eusebios (von Caesareia), Historia ecclesiastica [’Kirchengeschichte’]; Werke, Bd. VII, Chronicon Hieronymi, hrsg. von U. Treu, Berlin 1984.

 

Harnack, „Mission und Ausbreitung des Christentums“ (1924 [4]) – Adolf (von) Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Bde. I-II, Leipzig 1924 [4] (1902 [1])

 

TAM – Tituli Asiae Minoris, hrsg. von den Wiener Akademie der Wissenschaften, Wien 1901 –

 

TThZ  – Trierer Theologische Zeitschrift

 



[1]  Jüngst siehe dazu Vera-Elisabeth Hirschmann, Horrenda Secta. Untersuchungen zum frühchristlichen Montanismus und seinen Verbindungen zur paganen Religion Phrygiens (Historia Einzelschriften – Heft 179), Stuttgart, Franz Steiner Verlag 2005.

[2]  Mt XIII,31; vgl. Mk IV,30-32; Lk XIII,18sk.

[3]  Acta App. XX,8.

[4]  Harnack, „Mission und Ausbreitung des Christentums“ (1924 [4] ) Bd. II,732.

[5]  Das 1. Buch Mose (Exodus), 15,20f.

[6]  Das 2. Buch von den Königen, 22,14-20.

[7]  Das Buch von den Richtern 5.

[8]  So schon bei A. von Harnack: „Mission u. Ausbreitung des Christentums”, Bd. II (1924 [4]), 930(ff).

[9]  Th. Baumeister, Montanismus und Gnostizismus. Die Frage der Identität und Akkomodation des Christentums im 2. Jahrhundert, TThZ 87 (1978), 44-60; 52.

[10]  Vgl. H. C. W. Frend, The Donatist Church. A Movement of Protest in Roman North Africa, Oxford 1952.

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